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Hände hoch für meine Gemeinde!Schweizer Politik lokal: Gemeindeversammlung
Gipf-Oberfrick
Gipf-OberfrickKriegt Sangeetha den Schweizer Pass?
Sangeetha Baskaran kurz vor der entscheidenden Versammlung
Kammersrohr
KammersrohrDemokratie im Wohnzimmer
Lorenz Nussbaumer, Gemeinderat
Bassersdorf
BassersdorfEine Serenade
Elvira Venosta, Gemeindeverwaltung Bassersdorf
Gemeindeversammlung in Bassersdorf
Festival-Atmosphäre und politische Traktanden wie Jahresrechnung, Schulpsychologischer Dienst oder die Friedhofs- und Bestattungsordnung bleiben verschiedene Paar Schuhe. Daran vermag auch der Apéro nichts zu ändern, den die Gemeinde nach der Versammlung den Teilnehmenden offeriert.
Fotogalerie Bassersdorf
Zum Anfang Zum Anfang Zum Anfang Zum Anfang Zum Anfang Zum Anfang Zum Anfang Zum AnfangEggiwil
Eggiwil"Darum gehen wir nicht"
Eine Einwohnerin
Martin Brechbühl Inhaber eines Baugeschäfts
Martin Brechbühl Inhaber eines Baugeschäfts
Wenn etwas Spezielles ist, gehe ich aber auf jeden Fall hin. Zum Beispiel, als es vor über 20 Jahren darum ging, ob eine Holz- oder Betonbrücke zum Dorf führen soll. Als Inhaber eines Baugeschäfts war das für mich wichtig: Ich fuhr jahrelang über die gefährliche einspurige Holzbrücke. Jetzt gibt es neben der Holzbrücke eine Betonbrücke."
Werner Jutzi Inhaber einer Schreinerei
Werner Jutzi Inhaber einer Schreinerei
Sonja Vogel Hausfrau und Mutter
Sonja Vogel Hausfrau und Mutter
Gottfried Hirsbrunner pensioniert
Gottfried Hirsbrunner pensioniert
Früher wollte ich die Welt verändern. Heute sehe ich ein, dass man das nicht kann. Früher haben sich die Leute mehr für die Gemeinde interessiert. Vielleicht ist ja das gute Abstimmungsbüchlein der Gemeindeschreiberei schuld: Die Leute sind so gut informiert, dass sie nicht mehr an die Versammlung zu gehen brauchen."
Hans Kern betreibt ein Bed & Breakfast
Hans Kern betreibt ein Bed & Breakfast
Ich erinnere mich an eine spektakuläre Versammlung, als es um das Alterszentrum ging, das mit viel Personalwechsel und schlechter Stimmung aufgefallen ist. Meine eigene Mutter war im Heim, daher bekam ich mit, wie die Situation war. An der Versammlung habe ich mich daher auch lange und ausgiebig geäussert – fast zu lange, aber der Gemeindepräsident hat mich gewähren lassen.
Am Ende gab es ein richtiges Furore, die Leute klatschten lange und ausgiebig. In der Folge ist die Heimleiterin entlassen worden. Das ist ein positiver Aspekt der Gemeindeversammlung, es ist eine sehr direkte Form der Demokratie".
Familie Zürcher
Familie Zürcher
Kurt Meier Wirt des Restaurants "Bären"
Kurt Meier Wirt des Restaurants "Bären"
Das erste Mal an eine Gemeindeversammlung ging ich als Neuntklässler. Dabei ging es um den Kauf eines Gasthofes. Das war so spannend wie ein Krimi! Ich habe im Sinn, heute Abend an die Gemeindeversammlung zu gehen – wenn ich es nicht vergesse!"
Bernhard Wüthrich Metzger
Bernhard Wüthrich Metzger
1,1% der StimmbevölkerungDie Versammlung in Eggiwil
Tatsächlich sind von den 1891 Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern – nebst den sieben Gemeinderäten, dem Gemeindeschreiber und dem neu gewählten Gemeinderat samt Ehefrau – gerade mal neun Männer und drei Frauen an die Gemeindeversammlung gekommen. Insgesamt sind damit 22 Stimmberechtigte anwesend – das entspricht 1,1% der Stimmbevölkerung.
Als Erstes wird aus den mageren Reihen der Bürger und Bürgerinnen ein Stimmenzähler für den heutigen Abend gewählt. Die Wahl fällt auf einen Imker. "Er zählt normalerweise Bienen", witzelt der Gemeindepräsident.
Dann wird die Jahresrechnung präsentiert und die Bürger dürfen Fragen stellen. Ob sich das zweijährige Obligatorium für den Kindergarten auf die Rechnung ausgewirkt habe, will ein Bürger wissen. Niemand weiss es, also wird er vertröstet. Der Gemeindepräsident duzt ihm – man kennt sich. Bei der Abstimmung gibt es bloss eine Gegenstimme – 21 Bürger und Bürgerinnen genehmigen die Jahresrechnung.
Dann geht es weiter mit Fragen, Anmerkungen und Anliegen der Bürger. Ein Imker bedankt sich beim Gemeinderat für eine per Brief angekündigte Subvention von 20 Franken pro Bienenvolk. "Das finde ich grossartig, ein super Zeichen!", ruft er überschwänglich.
Der Gemeindepräsident lächelt väterlich und wendet sich dem nächsten Bürger zu, der wissen will, was das für ein "Gstürm" mit dem Altersheim sei, das andauernd in den lokalen Medien ein Thema sei. "Macht die Gemeinde da etwas?", will er wissen. "Glaub nicht alles, was in den Zeitungen steht!", ist die saloppe Antwort des Gemeindepräsidenten.
Nun meldet sich ein anderer Bürger zu Wort: "Heute ist mein Onkel beerdigt worden", erzählt er. "Er hat auch im Altersheim gewohnt. Und ich kann sagen, er hat sich dort sehr wohl gefühlt." Das scheint den ersten Bürger zunächst zu beruhigen.
Doch als ein dritter Bürger – ein Verwaltungsrat des Alterszentrums – erzählt, dass es in der Schweiz zu wenig Pflegepersonal gebe und die Angestellten daher bei kleinen Unstimmigkeiten sofort kündigten, möchte er die Gründe dafür wissen und wird vom Gemeindepräsidenten unterbrochen. Da springt er von seinem Stuhl auf, schreit mit rotem Kopf "Wenn wir einfach Ja sagen sollen, können wir es auch per Post machen!" und stürmt zur Turnhalle hinaus.
"Tschüss Erich*", sagt der Gemeindepräsident und setzt ungerührt die Versammlung fort. Ein Bürger lädt zum Feldschiessen ein, die Bürger werden aufgefordert, sich in ihrem Umfeld umzuhören, ob in der Gemeinde ein Bedürfnis nach einer Kita besteht, ein zurücktretender Gemeinderat wird verabschiedet und der Neue begrüsst, und dann ist auch schon das Ende der Versammlung gekommen und die Gruppe pilgert in den Bären zu einem Bier und einem Happen Essen.
*Name geändert
Sibilla Bondolfi
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Das Gemeindesterben
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Innerhalb der letzten knapp 30 Jahre verschwanden knapp 800 Gemeinden oder über ein Viertel, denn Anfang 2018 existierten noch 2222 Gemeinden.
Der massive Rückgang ist die Folge von Gemeindefusionen. Solche werden propagiert, um die Finanz- und Personalprobleme auf Ebene der Gemeinden zu beheben.
Gemeindefusionen haben aber ihren Preis, wie aktuelle Forschungen zeigen. Einer davon: Die Talfahrt der politischen Beteiligung, die seit 30 Jahren andauert, wird dadurch noch verstärkt.
Die Regel: je grösser eine Gemeinde, desto geringer ist die Teilnahme. Es gab Versammlungen, an denen weniger als ein Prozent der Stimmberechtigten teilnahm.
Rund ein Fünftel der heutigen Gemeinden der Schweiz haben die Gemeindeversammlung durch ein halb-professionelles Gemeindeparlament abgelöst. Dies betrifft vor allem grössere Gemeinden und solche in der französischsprachigen Westschweiz oder im italienischsprachigen Tessin.
Auch Gemeindeparlamente sind nicht der Weisheit letzter Schluss, gibt es doch Gemeinden, die wieder zur Gemeindeversammlung zurückgekehrt sind.
Renat Kuenzi, Text und Thomas Kern, Bilder
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