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Heilen mit MarihuanaCANNABIS: DIE RENAISSANCE EINES "VERBOTENEN" HEILMITTELSLuigi Jorio / Thomas Kern / Carlo Pisani / Giuseppe ciliberto
Der Produzent
DER PRODUZENT IM WEISSEN KITTEL
Erntezeit
"Das THC ist das Molekül, das man in der Medizin verwendet. Es ist jedoch ein Rauschmittel. Ein korrekte Dosierung von CBD verringert die psychotropische Wirkung" Markus Lüdi, Chemiker
"Das THC ist das Molekül, das man in der Medizin verwendet. Es ist jedoch ein Rauschmittel. Ein korrekte Dosierung von CBD verringert die psychotropische Wirkung" Markus Lüdi, Chemiker
Die Mutterpflanze, aus der alle anderen geklont wurden, wird in einem Schutzraum aufbewahrt. Markus Lüdi begleitet uns zu einem modernen Treibhaus neben der Plantage. Der Zugang ist begrenzt, unser Eintritt wird registriert. Der Raum, der die Pflänzchen beherbergt, ist sofort zu erkennen: es ist der einzige, dessen Glaswände mit Papier bedeckt sind. Im Innern, wo Temperatur und Feuchtigkeit von einem Computer kontrolliert werden, spriesst die neue Generation Pflanzen heran.
"Alle sagten mir, das funktioniere nie", sagt Markus Lüdi und erinnert sich an die Reaktionen, als er beschlossen hatte, auf die verbotene Pflanze zu setzen. Das war Ende der 1990er-Jahre. Doch der Berner Chemiker, angestellt in einer Firma, die Pflanzenessenzen produzierte, war vom therapeutischen und ökonomischen Potenzial von Cannabis überzeugt.
Es gab einen kleinen "Hanf-Boom" mit neuen Nutzungsmöglichkeiten im medizinischen Umfeld, erzählt er. "Ich glaubte, das Gesetz würde in Kürze geändert. Stattdessen habe ich über zehn Jahre darauf gewartet." Die Wende kam 2008, als das Schweizer Volk dem medizinischen Gebrauch von Cannabis zustimmte. Erst 2011, als das neue Gesetz in Kraft trat, erhielt Markus Lüdi als einziger in der Schweiz die Bewilligung, Hanf anzubauen und eine Hanftinktur zu verkaufen.
Was sagt das Gesetz?
Was sagt das Gesetz?
Das Schweizer Stimmvolk hat 2008 eine Initiative zur Entkriminalisierung von Cannabis mit 63% abgelehnt. In der gleichen Abstimmung wurde jedoch das neue Bundesgesetz über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe angenommen, das eine kontrollierte und begrenzte Anwendung von Cannabis zu medizinischen Zwecken erlaubt (vorher galt dies nur für Forschungszwecke).
Die Schweizer Regierung und eine Mehrheit des Nationalrats sind der Meinung, dass man im Rahmen eines Pilotprojekts die Durchführbarkeit einer Zulassung von Medikamenten auf der Basis von Cannabis prüfen solle.
Der Gebrauch von Cannabis zu medizinischen Zwecken ist in verschiedenen europäischen Ländern (Deutschland, Italien, Spanien, Portugal und Grossbritannien), in Lateinamerika und in 23 US-Bundesstaaten legal oder toleriert. In den meisten asiatischen und afrikanischen Staaten hingegen ist dies illegal
Cannabis-Tropfen
Der Apotheker
DER HANF-APOTHEKER
"Die Patienten wenden sich an mich, wenn mit den andern Medikamenten keine Resultate erzielt wurden" Manfred Fankhauser, Apotheker
"Die Patienten wenden sich an mich, wenn mit den andern Medikamenten keine Resultate erzielt wurden" Manfred Fankhauser, Apotheker
Auf einem Regal reiht sich Schachtel an Schachtel, gefüllt mit Cannabismedikamenten. 24 sind es, für ebenso viele Patienten in der ganzen Schweiz.
Die meisten enthalten eine Lösung auf der Basis von THC, dem Dronabinol, ein Medikament, das Manfred Fankhauser direkt in der Apotheke in Langnau im Emmental (Kanton Bern) herstellt. Zudem gibt es natürliche Tinkturen, jene von Markus Lüdi, seinem Geschäftspartner.
Das Telefon klingelt ununterbrochen. "Es sind Leute, die Fragen zu Cannabis haben", erklärt der Apotheker. Cannabis hilft Patienten während einer Chemotherapie gegen Schwindel und Übelkeit. Bei Aidskranken regt es den Appetit an, und bei multiple Sklerose-Patienten lindert es die Krämpfe, erklärt er. "Die Patienten wenden sich an mich, wenn mit den andern Medikamenten keine Resultate erzielt wurden."
"Als ich 2007 mit Cannabis angefangen habe, zählte ich gerade einmal fünf Patienten. Heute sind es rund 600." Wegen der grossen Nachfrage hat Manfred Fankhauser eine junge Frau angestellt, welche die Anrufe entgegennimmt. Das Untergeschoss des Hauses der Familie, in dem früher die Fahrräder standen, wurde in ein "Cannabis-Büro" umfunktioniert. Es wird von einer Alarmanlage überwacht. Das Rohmaterial, reines THC in einer Ampulle, wird in einem Tresor aufbewahrt.
Der Arzt
DER ARZT, DER KRANKEN LINDERUNG VERSCHAFFT
"Cannabis lindert die Schmerzen, die Krankheit heilt es nicht" Claude Vaney, Neurologe
"Cannabis lindert die Schmerzen, die Krankheit heilt es nicht" Claude Vaney, Neurologe
Mit einer therapeutischen Dosierung ist das Risiko einer psychotropen Wirkung extrem gering, und die Nebenwirkungen sind in der Regel schwach. Es kann höchstens zu einem Schwindelgefühl oder Herzrasen kommen. Eine längere Einnahme von THC in starker Dosierung kann jedoch die kognitiven und psychomotorischen Funktionen beeinträchtigen.
Der Arzt, geboren in Lausanne, macht sich keine Illusionen. Cannabis ist kein Allheilmittel. Seiner Erfahrung nach hat es bei 30-40% der Fälle einen positiven Effekt. "Sein Potenzial ist jedoch noch lange nicht ausgeschöpft", meint er. "Das wachsende Wissen über die THC-Rezeptoren anderer Cannabinoiden im menschlichen Körper führen vielleicht zur Entdeckung von ungeahntem therapeutischen Potenzial", glaubt Vaney.
"Der Gebrauch von Cannabis für bestimmte Indikationen steht nicht zur Diskussion" Gert Printzen, FMH
"Der Gebrauch von Cannabis für bestimmte Indikationen steht nicht zur Diskussion" Gert Printzen, FMH
Die Ärzte, die Cannabis verschreiben, werden zahlreicher (350 in den ersten fünf Monaten von 2015 gegenüber 250 im gleichen Zeitraum 2014), doch seien sie immer noch eine Minderheit, stellt Gert Printzen, Mitglied des Zentralvorstands der FMH, fest. "Der Gebrauch von Cannabis für bestimmte Indikationen steht nicht zur Diskussion, und wir verfügen über ausgezeichnete wissenschaftliche Publikationen zum Thema", schreibt er in seiner Antwort an swissinfo.ch.
Die Zurückhaltung sei jedoch in der öffentlichen Meinung und in der Politik spürbar, beobachtet Claude Vaney. "Spricht man von Cannabis zu therapeutischen Zwecken, dann kommt immer die politische Komponente ins Spiel. Droge und Medikament müssen klar getrennt werden", wünscht sich Vaney.
Die Patientin
DIE PATIENTIN UND DAS UNENTBEHRLICHE FLÄSCHCHEN
Ein mühsamer Tag
"Cannabis ist mein Rettungsanker" Monika Koella, Patientin
"Cannabis ist mein Rettungsanker" Monika Koella, Patientin
"Dann, eines Tages, zeigte mir eine Freundin eine Broschüre. Darin wurde von einem Medikament aus Hanf gesprochen, dem Dronabinol. Ich fand das interessant und wollte es ausprobieren." Nach drei Jahren sei Cannabis ihr "Rettungsanker", sagt sie. Sie nimmt weiterhin ihren täglichen Cocktail aus sieben Medikamenten. Mit weniger geht es nicht. Doch seit sie die Tropfen von Manfred Fankhauser, dem Apotheker aus Langnau, entdeckt hat, kann sie den Konsum von Opiaten und Schlafmitteln reduzieren.
"Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Cannabis endgültig wieder in die Apotheke zurückkehrt" Rudolf Brenneisen, Pharmakologe
"Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Cannabis endgültig wieder in die Apotheke zurückkehrt" Rudolf Brenneisen, Pharmakologe
Doch jeder Tropfen ist kostbar. Das Fläschchen, das für weniger als zwei Monate reicht, kostet 900 Franken. Kosten, die vorläufig von der Krankenkasse übernommen werden. Monika Koella befürchtet jedoch, dass die Versicherung die Rückerstattung aussetzt. Sie hätte übrigens das Recht dazu.
Rund die Hälfte der Gesuche an die Krankenkassen wird laut dem BAG positiv entschieden. Für Margrit Kessler, Nationalrätin der Grünliberalen Partei, ist das ungenügend. Die Präsidentin der Schweizerischen Stiftung SPO Patientenschutz möchte eine automatische und erleichterte Zulassung von natürlichen Cannabis-Medikamenten. "Das Bewilligungsverfahren ist kompliziert, und die Preise von Medikamenten auf Cannabisbasis sind sehr hoch", schreibt sie in einer Motion. "Im heutigen System lindern viele Schmerzpatienten illegal ihre Schmerzen mit Cannabis." Anfang Juni hat eine grosse Mehrheit der Grossen Parlamentskammer ihre Motion angenommen, und auch die Regierung steht einer Studie positiv gegenüber, welche "die wissenschaftlichen, methodologischen und rechtlichen Fragestellungen im Rahmen der Anwendung von Cannabisblüten klären soll".
A inizio giugno, un’ampia maggioranza della camera bassa del parlamento ha accettato la sua mozione e anche il governo si dice favorevole a uno studio «per chiarire le questioni scientifiche, metodologiche e legali dell’impiego dei fiori di canapa».
In der Zwischenzeit dosiert Monika Koella sorgfältig ihre Tropfen. Manchmal hat nicht einmal Dronabinol eine Wirkung. Doch ohne ihr "Wunderfläschchen" zu leben, wäre für sie unvorstellbar. "Es hat mir einen Teil meines Lebens wieder zurückgegeben", betont sie.Cannabis als das "Aspirin der 21. Jahrhunderts" zu bezeichnen, wie das einige tun, sei übertrieben, meint Manfred Fankhauser. "Für alle Indikationen, für die man es verwenden kann, gibt es auch andere, wirksame Mittel." Der Apotheker wünscht sich jedoch, dass die Patienten rechtzeitig Zugang zu Cannabis erhalten und nicht nur als Ultima Ratio. "Erachtet ein Arzt das Medikament als zweckmässig, sollte ein übliches Rezept genügen.
"Es sei nur eine Frage der Zeit, bis Cannabis endgültig wieder in die Apotheke zurückkehre, ist Professor Rudolf Brenneisen überzeugt. "Man muss nur schauen, was in diversen amerikanischen Bundesstaaten oder in Uruguay passiert." Auch Doktor Claude Vaney ist optimistisch und glaubt, dass in 5 bis10 Jahren der Gebrauch von Cannabis in der Schweiz verbreitet sein wird. Man müsse aber nicht damit rechnen, dass multiple Sklerose-Patienten nach Einnahme von THC lachten und tanzten. "Doch die Liberalisierung von Cannabis zu therapeutischen Zwecken könnte ihnen zu einem besseren Leben verhelfen."
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Übertragung aus dem Italienischen: Christine Fuhrer
Bilder: Thomas Kern
Video: Carlo Pisani
Produktion: Giuseppe Ciliberto
@SWI swissinfo.ch